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Was passiert in einer Psychotherapie?
Zunächst scheint diese Frage ganz einfach zu beantworten. Man spricht über seine
Sorgen und dann ist alles wieder gut – bis man merkt, so einfach ist es gar
nicht.
Schon immer, so lange das Gedächtnis der Menschen reicht, wurde mit Suggestion
geheilt, haben Heiler mit den Kranken gesprochen, gab es Seelsorge, die Fürsorge
für die Seele.
Doch erst seit dem letzten Jahrhundert wurde daraus so etwas wie eine Wissenschaft.
Verschiedene Arten, mit dem Kranken zu sprechen, wurden erprobt, verworfen,
verändert und schließlich ausgeübt und gelehrt.
Heute gibt es für die Patienten in Deutschland einige wichtige Unterscheidungen
zwischen den Formen dieser Fürsorge. So haben wir die Gewohnheit, Gesundheitskosten
von den Krankenkassen übernehmen zu lassen und es ist Aufgabe der Kassen und
Versicherungen, zwar einerseits die Gesundheit ihrer Mitglieder im Auge zu haben,
andererseits aber auch nicht zu viel und schon gar nicht für das Falsche zahlen
zu wollen.
So haben sich Strukturen gebildet, innerhalb derer für eine Psychotherapie die
Kosten von den Krankenkassen übernommen werden – die Unterschiede zwischen
gesetzlichen Kassen und privaten Versicherungen sollen hier nicht näher thematisiert
werden.
Der Anfang
Heutzutage kann jeder, der das Gefühl hat, sich übernommen zu haben, der sich
unglücklich oder dauernd krank fühlt, oder ein anderes wiederkehrendes Problem
hat, einen Termin beim Psychotherapeuten machen. Natürlich kann auch ein einmaliges
Ereignis eine Therapie sinnvoll erscheinen lassen, zum Beispiel ein plötzlicher
Verlust oder unvorhersehbare Veränderungen der Lebensumstände.
In der Regel wird so jemand, nennen wir ihn Frau P. (viel mehr Frauen als Männer
haben den Mut, die Auslöser ihrer Befindlichkeitsstörung bei sich zu suchen),
noch nichts weiter über ihre Möglichkeiten wissen. Da ist die erste Anlaufstelle
oft der Hausarzt, der auch schon vieles klären kann und nur gelegentlich eine
Überweisung zum Psychotherapeuten für notwendig erachten wird. Solch ein Termin
kann auch über die Vermittlungsstelle der Kassenärztlichen Vereinigung vermittelt
werden, allerdings kann Frau P. sich hier nicht aussuchen, wohin sie geschickt
wird und es ist auch nicht gesichert, dass der angesprochene Therapeut einen
Therapieplatz frei hat. Vielleicht wendet sich Frau P. auf den Rat einer Freundin
hin aber auch direkt an eine Therapeutin oder einen Therapeuten. Die Therapeuten
haben eine Zeit der telefonischen Erreichbarkeit, in der oft nichts weiter getan
wird, als einen Termin abzusprechen, manchmal aber auch schon ein erstes Abklären
möglich ist, ob ein Termin in der Praxis für den Anrufer sinnvoll ist. Weiß Frau
P. schon, welche Therapieform sie wählen möchte, ist es günstig, das bei der
Anmeldung zu sagen oder speziell nach dieser Therapieform zu fragen. Meist weiß
man dies aber vor dem allerersten Gespräch noch nicht. Die Festlegung der
Therapieform ist ein sehr wichtiges Thema in den ersten Stunden der
therapeutischen Arbeit und hat sowohl mit der Art der Beschwerden von Frau P. als
auch mit ihrer Persönlichkeit und ihren persönlichen Umständen zu tun. Begleiten
wir sie einfach einmal.
Frau P. hat einen Termin vereinbart und trifft zum ersten Mal die Therapeutin.
Zu diesem Zeitpunkt hat sie mit unterschiedlichsten Beschwerden zu kämpfen.
Danach wird sie von der Therapeutin auch gefragt, nach ihren Beschwerden und den
Gründen, warum sie in die Sprechstunde gekommen ist. Hier empfiehlt es sich,
schon einigermaßen genau zu berichten, auch wenn das einer ganz fremden Person
gegenüber ungewohnt ist. Wichtig sind die Beschwerden, also körperliche Probleme
wie Schmerzen, Appetitlosigkeit oder körperliche Schwere oder auch Zorn und Wut,
Weinen und Traurigkeit, Schlaflosigkeit oder das Gefühl, nichts mehr zu schaffen.
Auch Ängste sollten Erwähnung finden.
Dann schildert Frau P. vielleicht, seit wann sie diese Beschwerden hat. Sie wird
erzählen, wo sie die Auslöser sieht und dann, gestützt auf die Fragen der Therapeut/in,
nachdenken über die Wege, die sie zur Lösung sieht.
Falls noch Zeit ist, wird die Therapeut/in eventuell auch schon in der ersten Sitzung
wissen wollen, wie Frau P. lebt, wo sie aufgewachsen ist, wo sie arbeitet etc.
Vielleicht können diese Fragen aber auch erst in späteren Sitzungen erörtert werden.
Nun ist es die Aufgabe der Therapeutin, genau zuzuhören, Frau P. in der Stunde
aufmerksam wahrzunehmen und sich Gedanken darüber zu machen, was für eine Störung
Frau P. wohl haben könnte und welche Art Hilfe oder Unterstützung sie brauchen
könnte. Dabei überlegt die Therapeutin auch, ob eine Behandlung überhaupt angezeigt
ist – vielleicht ist Frau P. gar nicht so krank, dass sie eine lange Therapie
braucht oder aber ihre Störung ist entweder so schwerwiegend, dass zum Beispiel eine
stationäre Behandlung angezeigt ist oder vielleicht so chronisch, dass vielleicht
eine Psychotherapie zu diesem Zeitpunkt gar nicht greifen würde und vielleicht eine
psychiatrische Behandlung vorher nötig ist. Dazu muß die Therapeutin auch noch
feststellen, ob die Störung in den Katalog der Krankenkassen passt, also die Kassen
überhaupt für die Behandlung bezahlen müssen. Diese Überlegungen fallen heute in den
Bereich der ersten bis dritten Sitzung, der sogenannten psychotherapeutischen
Sprechstunde. Hier muss entschieden werden, ob im Anschluss eine Akuttherapie (bis
zu 12 mal 50 Minuten innerhalb eines Zeitjahres) erfolgt und damit eine Unterstützung,
die nicht an die Regeln der jeweils angebotenen Therapieform gebunden ist oder ob
dann eine probatorische Phase mit bis zu 4 mal 50 Minuten erfolgt - auch ein Verweis
an eine Beratungsstelle oder eine andere Form der Behandlung ist möglich. Sehr wichtig
für beide ist es, in den ersten Stunden der dann folgenden probatorischen Phase genau
zu überlegen, ob man zusammen passt. Ob, so der saloppe Ausdruck, "eine mit der
anderen kann". Die gegenseitige Anziehung oder aber Abstoßung zwischen Menschen, die
unwillkürlich und oft unveränderbar ist, spielt hier ebenso eine Rolle wie die
persönlichen Lebensumstände.
Daneben spielt der Aspekt der Therapieform eine nicht ganz so wichtige Rolle.
Allerdings auch keine unwichtige, es muß schon sehr gut überlegt werden, ob eine
tiefenpsychologisch fundierte oder eine verhaltenstherapeutische oder eine
psychoanalytische Therapie angestrebt werden soll.
So kann aus einigen Gründen für Frau P. der Gang zu mehreren Therapeuten erforderlich
sein, bis alles zusammen passt. Sehr häufig bildet auch die Auswahl eines gemeinsamen
Termins, meist einmal die Woche 50 Minuten, eine unüberwindliche Hürde. Doch
schließlich findet Frau P. einen geeigneten Therapeuten, mit dem sie sich versteht
und der Zeit und Interesse für sie hat. Dann ist die nächste Hürde zu nehmen, ein
Antrag an die Kasse wird gestellt. (Offiziell muss der Versicherte die Therapie
beantragen, dafür gibt es Vordrucke, die Therapeuten vorrätig haben.) Dafür muss
überlegt werden, ob gleich eine längere Therapie von 60 Stunden angestrebt werden
soll, oder ob man es zunächst einmal mit bis zu 2 mal 12 Stunden in der
Kurzzeittherapie probiert. Immerhin ziehen sich 24 Therapieeinheiten schon einmal
über 10 Monate, wenn die Urlaube von Therapeut und Patientin nicht koordinierbar
sind oder andere Ausfälle dazwischen kommen. Es können hier sowohl eine Einzel- oder
eine Gruppentherapie beantragt werden, auch Kombinationen sind möglich.
Für die geplante (Langzeit)Therapie schreibt dann die Therapeutin einen Antrag, der
bestimmte festgelegte Fragen beantworten muss und daher diverse Einzelheiten der
Geschichte des Patienten enthält. Dazu kommen Einschätzungen der Therapeutin über
die Psychodynamik und den geplanten Verlauf der Behandlung. Dieses Schriftstück geht
zusammen mit einigen ausgefüllten Formblättern an die Krankenkasse, einiges in
einem verschlossenen Umschlag, der nur von einem dafür bestellten Gutachter geöffnet
werden darf und weder Namen noch Adresse des Patienten enthält.
Nach einer gewissen Wartefrist (bei Begutachtung maximal 5 Wochen) erhalten Patient
und Therapeut die Zusage über die beantragte Therapiezeit. Dann kann es richtig
losgehen. Wenn einmal eine Absage kommt, gibt es die Möglichkeit des Widerspruchs
und eines Obergutachters, so dass immer noch einige Wege offen stehen.
Der Verlauf
Bald hat Frau P. sich gewissermaßen daran gewöhnt, regelmäßig zur Therapie zu gehen
und hat auch schon bestimmte Erwartungen. Sie und die Therapeutin haben einige Themen
miteinander ausgewählt, die im Zentrum der gemeinsamen Arbeit stehen sollen, aber
immer wieder geht es auch um ihre persönliche Geschichte, ihre Erfahrungen und um
das, was ihr weh tut. Das kann immer wieder negative Gefühle auslösen – und das
tut es auch. Jeder, der einmal einige Zeit eine Therapie gemacht hat, weiß davon.
Es entstehen Gefühle wie: "Ist diese Therapeutin denn immer noch nicht zufrieden,
was soll ich denn noch alles ändern". Oder: "Immer wieder die gleichen Themen,
warum läßt sie mich nicht in Ruhe, das ist doch mein Leben, das geht sie gar nichts
an". Sogar Zorn kann aufkommen, oder auch der Wunsch, die Therapie abzubrechen, nicht
mehr hin zu gehen. Natürlich kann es mal sein, dass eine Therapie tatsächlich nichts
Gutes bewirkt. Dass es Frau P. nicht möglich wird, mehr über sich zu verstehen,
anders mit sich umzugehen, oder, dass sie irgendwann merkt, dass sie sich doch
nicht ändern möchte. Und es gibt, was die Sache nicht einfacher macht, auch schlechte
Therapeuten oder ungeeignete Therapien.
Eine Psychotherapie kann nur dann etwas bewirken, wenn die Patientin etwas bei sich
verändern möchte. Außer der Patientin selbst ändert sich in der Therapie nichts.
Natürlich streben wir eine Veränderung der krank machenden Umstände an – aber wenn
diese zum Beispiel darin bestehen, dass Frau P., die vielleicht Pharmavertreterin
ist, sich furchtbar darüber ärgert, dass sie in der Stadt so schlecht Parkplätze
findet und daher immer zu spät zu Terminen kommt, dadurch die Ärzte verärgert,
denen sie das Produkt ihrer Firma schmackhaft machen soll und daher kaum Umsätze macht,
sich also darum sorgt, ihren Job zu verlieren – dann kann ein erstes Ziel nicht etwa
darin bestehen, mehr Parkplätze in der Stadt entstehen zu lassen oder Lotto zu spielen,
um als Millionärin unabhängig zu sein – sondern vielmehr darin, weniger zornig zu
sein.
Dann ist die im Zorn verschwendete Energie frei, um über andere Strategien nachzudenken,
welche auch immer das sein mögen. Dies ist natürlich nur ein erster Schritt, und das
ist das Frustrierende an Psychotherapie. Immer wieder zeigen sich Hürden nur halb
genommen, Wege nur halb zurückgelegt, Probleme tauchen neu auf und müssen wieder und
wieder bewältigt werden. Da kann man (Frau auch) schon mal müde werden und die Lust
verlieren. Gelingt es allerdings, sich durchzubeißen und gemeinsam mit dem Therapeuten
die eigenen, innersten, vielleicht auch schwächsten oder peinlichsten Beweggründe zu
verstehen, sich selbst auch Kleinliches oder aber Großartiges zuzugestehen, dann kann
das Gefühl für die eigene Person positiver werden, die Lebenslust steigen und Frau P.
fühlt sich besser.
Jeder Weg besteht aus unterschiedlichen Stufen, verschiedenen Hürden, einer Vielzahl
von Aufs und Abs, die nicht vorhersehbar sind. Deshalb können Therapien zwischen
5 und 80 Stunden dauern, in Ausnahmefällen auch einmal 100 Stunden. Analytische
Therapien, die ein wenig anders aufgebaut sind, aber auch dieses Auf und Ab zeigen,
dauern zwischen 180 und 360 Stunden. Da vergehen Jahre, bis es endlich kommt:
Das Ende
Früher oder später werden Frau P. und ihre Therapeutin sich trennen, die Therapie
beenden. Natürlich gibt es da verschiedene Möglichkeiten. Im Idealfall merken beide
bei einer ihrer gemeinsamen Überlegungen zum Verlauf der Therapie und zu den Dingen,
die noch anstehen, dass Frau P. einen guten Weg gegangen ist und bereit ist, nun
alleine weiter zu gehen. Das wird sicher nicht von heute auf morgen kommen, aber sie
werden überlegen, sich vielleicht seltener zu sehen, vielleicht eine längere Pause
einzuschieben oder aber, die letzte Stunde ein halbes Jahr aufzuheben, damit die
Möglichkeit für einen Rückblick nach einiger Zeit offen bleibt. So verabschieden
sie sich dann und Frau P. wird sicher noch einige Jahre öfter an die Therapie und
ihre Erlebnisse mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen denken, sich erinnern oder
sogar das eine oder andere verstehen und einsetzen können.
Vielleicht ist es aber auch nicht gelungen, irgendeine Hürde zu nehmen, Langeweile
oder Wut auszuhalten oder anzusprechen und die Therapie verläuft zwischendurch im
Sande oder bricht, in der Wut, plötzlich dadurch ab, dass Frau P. nicht mehr hingehen
möchte, einfach wegbleibt. So etwas ist sehr schade und auch etwas traurig, weil
so Rückblicke auf das bereits Erreichte häufig erschwert sind und nicht nur die
gerade zum Abbruch führende Sequenz verloren geht, sondern leider auch das vorher
mühsam Erarbeitete. Es ist auf jeden Fall besser, wann immer möglich mit dem
Therapeuten lieber zu streiten, als einfach ohne Rückmeldung auseinander zu gehen.
Eine weitere Möglichkeit ist, dass beide, Therapeut wie Patientin merken, halt, wir
haben uns geirrt, so können wir nichts Gutes erreichen und wir sollten besser aufhören.
Dann kann das besprochen und überlegt werden, vielleicht kann Frau P. eine andere
Therapeutin oder Therapieform aufsuchen oder in eine Klinik gehen, oder sie
entschließt sich, vorerst einmal gar nichts zu tun und abzuwarten, ob vielleicht
das Problem verschwunden ist.
Wenn allerdings ein Umzug oder eine andere unvorhergesehene Veränderung die
Therapie unterbricht, so kann Frau P. ihre Behandlung bei einem anderen Therapeuten
an ihrem neuen Wohnort fortsetzen.
Fazit:
Therapie ist ebenso vielfältig wie die Menschen, die da aufeinander treffen
und kann sehr bereichernd sein für das eigene Leben. Vor allem aber kann uns
die Auseinandersetzung mit uns selbst große Freude machen und uns helfen,
Krankheit und Leiden zu überwinden.
Hoffentlich haben Sie nun Lust bekommen, sich selbst einmal mit den Gründen
auseinander zu setzen, die Sie in die Therapie führen sollen und fühlen sich
ermutigt, diesen Weg zu beschreiten. Dazu wünsche ich Ihnen viel Glück und Erfolg.
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