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Lieberz, Prof. Dr. med. Klaus
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
in: Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 31-32 (03.08.1998),
Seite A-1909 MEDIZIN:
Zusammenfassung:
Stichwörter: Psychotherapie, Psychoanalyse,
Psychosomatische Grundversorgung, Psychotherapeutische
Versorgung, Psychotherapieindikation
Die "tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie" hat
wegen der außerordentlich flexiblen Einsatzmöglichkeiten ein
breites Indikationsspektrum und wird in der ambulanten wie auch
stationären Versorgung sehr häufig genutzt. Auch die im Rahmen
der psychosomatischen Grundversorgung oftmals notwendige und
nicht selten langwierige Motivierung des Patienten zur adäquaten
Berücksichtigung psychosozialer Aspekte seines Krankseins
gelingt bei sachgerechter Anwendung der Prinzipien dieses
Verfahrens besser. Die Versorgungsrelevanz ist dementsprechend
hoch. Dargestellt werden die Grundlagen tiefenpsychologischer
Vorgehensweise, die Modifikationen dieses speziellen Verfahrens
gegenüber anderen Techniken, Indikationen und Begrenzungen wie
auch die Besonderheiten der Interventionstechnik.
Unter tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie (oder
dynamischer Psychotherapie) sind dialogische Behandlungsverfahren
zu verstehen, die auf dem Boden der psychoanalytischen
Krankheitslehre in Abweichung von psychoanalytischen
Standardverfahren (langfristige Hochdosisbehandlung mit
Instruktionen des Patienten, zum Beispiel in bezug auf
Traumarbeit und freie Assoziation) um eine besondere Anpassung
der Behandlungstechnik an die jeweils individuellen Bedürfnisse
des Patienten bemüht sind. Gemeinsamkeiten mit anderen
psychoanalytischen Behandlungsverfahren ergeben sich aus der
Berücksichtigung:
- unbewußter psychodynamischer Prozesse,
- der aktuellen Wirksamkeit intrapsychischer und
interpersoneller Schutzhaltungen des Patienten
(sogenannte "Widerstände"),
- der Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung mit ihren realen
wie auch "Übertragungs"-Anteilen für den
Heilungsprozeß und
- der langfristigen Wirksamkeit frühkindlicher
Erfahrungen.
Modifikationen gegenüber der psychoanalytischen
Standardbehandlung ergeben sich:
- in den äußeren formalen Vorgehensweisen (Setting,
Terminvereinbarungen),
- in der Steuerung von Übertragungs- und
Regressionsprozessen (Vermeidung von
"Übertragungsneurosen", das heißt Vermeidung
therapieverlängernder starker Abhängigkeiten vom
Therapeuten),
- in der Häufigkeit der therapeutischen Interventionen und in
der Zentrierung auf die aktuell im Vordergrund stehende
Symptomatik und ihren Konflikthintergrund.
Wegen der enormen Variationsbreite im technischen Vorgehen,
von der ausgesprochenen Kurz- (3, 6, 9, 31, 34, 37, 38, 40, 43)
oder Fokaltherapie (2, 30) bis zur Langzeittherapie (10, 28), ist
die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (10, 13) als ein
Oberbegriff anzusehen, der im Prinzip gleichartige, in der
jeweiligen Gestaltung aber unterschiedliche Vorgehensweisen
umfaßt und Überschneidungen mit anderen Begriffen aufweist.
Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wurden im
Rahmen der Richtlinien-Psychotherapie im Jahresintervall 1995/96
insgesamt 138 576 tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien
durchgeführt, davon 98 981 Kurzzeittherapien und 39 595
Langzeittherapien. Dieses Therapieprinzip kommt damit wesentlich
häufiger zur Anwendung als psychoanalytische Standardtherapien
(30 096).
Indikation und Kontraindikation
Die große Anzahl ambulant durchgeführter, tiefenpsychologisch
fundierter Psychotherapien weist auf die breiten
Einsatzmöglichkeiten dieser Verfahren hin. Zudem sind diese
Verfahren im stationären Bereich oft das Mittel der Wahl. Gerade
auch die häufig notwendige Motivationsarbeit im Rahmen der
psychosomatischen Grundversorgung gewinnt mit der Fähigkeit des
Arztes, die Prinzipien dieses Vorgehens gekonnt anzuwenden. Die
Verfahren sind bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wie auch
bei Patienten "jenseits der Lebensmitte" gut
einsetzbar. Die Relevanz für die ärztliche Versorgung ist
dementsprechend hoch. Mit diesen Verfahren können sowohl
Patienten mit beispielsweise ausgestanzter Angstsymptomatik wie
auch verschiedensten funktionellen Beschwerden oder einer breit
angelegten Persönlichkeitsstörung erreicht werden. Auch der
Einsatz bei körperlichen Erkrankungen, wie zum Beispiel
bestimmten Formen des Asthma bronchiale oder chronisch
entzündlichen Darmerkrankungen, kann zur Verbesserung der
Krankheitsbewältigung und Verhinderung weiterer Chronifizierung
beitragen.
Zum Einsatz kommt die tiefenpsychologisch fundierte
Psychotherapie bei Patienten, die nicht zu sehr symptomzentriert
sind und Bereitschaft erkennen lassen, sich dem symptomtragenden
Konflikthintergrund zuzuwenden. Liegen diese Voraussetzungen
nicht vor, sollte meines Erachtens die Kombination mit einer
medikamentösen (zum Beispiel Anxiolytika, Antidepressiva)
Behandlung oder der Einsatz anderer Therapieformen,
beispielsweise verhaltenstherapeutischer Art, erwogen werden.
Erscheint ein tiefenpsychologischer Behandlungsansatz
grundsätzlich angezeigt, dann ist bei der Wahl des
Therapieverfahrens zunächst die soziale Situation
(Schichtdienst, Wechseldienst) zu berücksichtigen, die den
Einsatz einer Gruppentherapie ebenso ausschließen kann wie den
einer höherfrequenten Therapieform. Sodann ist bei der
Behandlungsplanung davon auszugehen, daß über die Art, Dauer
und Prognose der Therapie nicht allein die Symptomatik (zum
Beipiel Ausmaß der Behinderung oder Chronizität) entscheidet,
sondern daneben auch die aktuellen Lebensumstände
(Arbeitslosigkeit, Schulden, andere schwer auflösbare
Abhängigkeiten) und vor allem Persönlichkeitseigenschaften von
Patient (und Therapeut!). Die Diagnostik hat deshalb diese drei
Bereiche angemessen zu berücksichtigen.
Beispiel: Die 19jährige Gymnasiastin kommt
in die Sprechstunde, weil sie vor zehn Tagen beim Anschauen eines
bestimmten Filmes einen Angstanfall bekam und seither von
Zwangsbefürchtungen geplagt wird, sie könne jemandem etwas
antun. Sonst keine wesentliche Begleitsymptomatik. Sie steht noch
ganz unter dem Eindruck der Symptomatik und fürchtet, daß diese
ihr schulisches Fortkommen beeinträchtigen könnte. Ihr daher
motiviertes Drängen auf schnelle Wiederherstellung ihrer
"Funktionstüchtigkeit" ist unterlegt von Hinweisen
darauf, daß die akut aufgebrochene Symptomatik doch einen
bereits etwas längeren Vorlauf hatte und ohne Berücksichtigung
dieses Kontextes kaum erfolgreich behandelt werden kann. Im
Kontakt zeigt sich die Patientin vorsichtig, aber auch
interessiert und kooperativ. (ICD-10-Diagnose: F 41.0, F 42.0)
Die Form einer ausgesprochenen Kurztherapie kann nur bei
Patienten mit guter Prognose gewählt werden. Dies setzt - wie im
oben geschilderten Fall - voraus, daß sich eine aktuelle
Konfliktsituation
(Symptomauslösende/Versuchungs-/Versagungssituation)
herausarbeiten läßt sowie eine kurze Symptomdauer bei guter
Ich-Stärke und aktiver Orientierung besteht. Ein umschriebenes
Hauptsymptom in Form von Ängsten (mit/ohne Körpersymptomatik,
ICD-10: zum Beispiel F 41.0), Phobien mit Zwangsgedanken (ICD-
10: F 40.2), Trauerreaktionen, milden Depressionen (ICD-10: F
32,0) und interpersonellen Problemen bietet eine günstige
Voraussetzung zur Kurztherapie. In der Vorgeschichte sollten sich
bedeutungsvolle Objektbeziehungen finden lassen. Damit sind
Menschen gemeint, für die der Patient bereit gewesen ist, Opfer
zu bringen. Gute Intelligenz, psychologische
Verständnisfähigkeit, konstruktive Problemlösefähigkeit und
vor allem die Fähigkeit, Prioritäten setzen zu können, sind
für eine ausgesprochene Kurztherapie (bis zu 25 Sitzungen)
unabdingbar. Freier Affektzugang und affektive
Ausdrucksfähigkeit sind ebenso wie die Motivation für eine
Persönlichkeitsveränderung (und nicht allein Symptomheilung)
weitere Voraussetzungen (2, 3, 6, 9, 31, 34, 35, 38, 40).
Auf länger währende, tiefenpsychologisch fundierte
Psychotherapien muß man sich bei allen Patienten einstellen, die
diese strengen Auswahlkriterien für eine Kurztherapie nicht
erfüllen und/oder die folgende Anzeichen erkennen lassen.
Dies sind Patienten mit starkem Rededrang (als Angstabwehr)
oder mit der Neigung zum Monologisieren. Es sind weiter
Patienten, bei denen Unselbständigkeit, Infantilität,
Bequemlichkeit und Suchttendenzen auf stark ausgeprägte
passiv-regressive Versorgungswünsche hinweisen. Auch Personen
mit stark eingeschränkten kommunikativen Fähigkeiten
(hartnäckige Schweiger, kommunikationszerstörende Schizoide),
mit geringer Angsttoleranz und Realitätsverankerung wie auch
ausgeprägter Tendenz zu destruktivem Agieren und
sadomasochistischen Arrangements gehören hierzu (10, 13, 28, 32,
37, 38) (ICD-10: zum Beispiel F 60.1, 60.7, 60.31).
Mitunter ist der passagere (oder manchmal auch dauerhafte)
Einsatz von Psychopharmaka nützlich oder gar notwendig. So
beispielsweise in der Anfangsphase der Behandlung schwer
depressiver Patienten, die ohne diesen "Fremdanschub"
kaum die notwendigen Voraussetzungen für eine sinnvolle
psychotherapeutische Arbeit entwickeln (14, 15, 24, 29, 41). Auch
Angstpatienten sperren sich ohne diese "schützenden
Begleiter" nicht selten gegenüber psychotherapeutischen
Maßnahmen. Patienten mit massiven Störungen der Impulskontrolle
(sogenannte Borderline-Kranke) sind ohne medikamentöse
"Steuerungshilfe" oft nicht führbar. Freilich bedarf
der Einsatz eines Psychopharmakons einer sorgfältigen Reflektion
der Auswirkungen auf die Arzt-PatientBeziehung. Im übrigen ist
die Kombination von Psychotherapie und Medikament in der
Behandlung bestimmter internistisch-psychosomatisch Kranker (zum
Beispiel eines Patienten mit Asthma bronchiale oder Colitis
ulcerosa, ICD-10: J 45.1, K 51) oder primär somatisch Kranker
selbstverständlich.
Mit einem Therapieversagen muß dann gerechnet werden, wenn
neben den oben erwähnten therapieverlängernden Anzeichen eine
massive emotionelle und materielle Deprivation von frühester
Kindheit an bestanden hat, eine auslösende Konfliktsituation
für die aktuelle Symptomatik sich nicht herausarbeiten läßt,
ein beträchtlicher sekundärer Krankheitsgewinn besteht und/oder
starke dissoziale Einstellungen wie auch masochistisch gefärbte
Opfer-, Verzichts- und Bescheidenheitshaltungen das
persönlichkeitsstrukturelle Bild bestimmen.
Inhaltliche Beschreibung
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien (einschließlich
Kurz- und Intervalltherapien) streben eine Begrenzung des
Behandlungsaufwandes (10, 13, 26, 31) an. Aus psychoanalytischer
Sicht erscheint es dabei sinnvoller, statt der Behandlungsdauer
besser den Behandlungsaufwand in Form der Anzahl eingesetzter
Therapiesitzungen zu modifizieren. Statt drei oder vier fester
Behandlungssitzungen pro Woche werden die Behandlungstermine bei
dieser Therapieform variabel auf die jeweiligen Bedürfnisse des
Patienten und des Behandlungsprozesses abgestimmt. Dies kann dazu
führen, daß es in Risikosituationen zu hochfrequenten
Therapieabschnitten kommt, in anderen Phasen die Termine
gestreckt und behandlungsfreie Intervalle eingelegt werden. In
der Regel wird angestrebt, mit dem Patienten möglichst einmal in
der Woche zusammenzukommen, in der Anfangsphase vielleicht auch
öfter.
Eng verbunden mit der Begrenzung des Behandlungsaufwandes ist
die notwendige Begrenzung des Behandlungsziels. Die Besserung der
Symptomatik (Ängste, Depressionen, funktionelle Störungen) ist
sicher eines der nächstliegenden Ziele für den Patienten, wird
aber speziell von psychoanalytisch trainierten Therapeuten
erfahrungsgemäß in seiner Bedeutung unterschätzt, da diese
mehr auf die Änderung symptomtragender Persönlichkeitsmerkmale
und Verhaltensmuster des Patienten ausgerichtet sind. Dafür sind
analytische Therapeuten sicher weniger in Gefahr, schnellen
Besserungen oder Heilungserfolgen (ohne entsprechende
persönlichkeitsstrukturelle Veränderungen) Glauben zu schenken,
wissen sie doch, daß der Patient gern weitergehende und
anstrengende Änderungen seiner Erlebens- und
Verhaltensgewohnheiten zu vermeiden trachtet und sich zum
Beispiel "in die Gesundheit flüchten" kann. Auch die
Kenntnis über kurz nach Beginn der Therapie einsetzende
"Übertragungsheilungen" (als "Liebesbeweis"
gegenüber dem Therapeuten) schützt den Therapeuten vor zu
früher Beendigung der Therapie. Auch wird sich der Therapeut
einen Einblick verschaffen müssen, inwieweit die Symptomabnahme
auf Kosten einer breiten Lebenseinschränkung (zum Beispiel
Vermeidung von geselligen Kontakten oder Sexualität) geht oder
ein Symptomwandel eingetreten ist.
Schnelle "Heilungserfolge" sind gerade in
tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapien suspekt, da diese
eher bei schwerkranken Patienten eingesetzt werden, bei denen mit
schnellen Erfolgen gar nicht zu rechnen ist. Vor dem Hintergrund
der Begrenzung des Behandlungsaufwandes müssen Veränderungen in
der Persönlichkeitsstruktur aber auf das zur Symptombeseitigung
unbedingt notwendige Maß beschränkt bleiben. Zur Zielbegrenzung
gehört auch die thematische Begrenzung. Nur der jeweils aktuell
wirksame Konflikt wird zum Thema in der Therapie. Dieser Fokus
sollte möglichst noch vor Beginn der eigentlichen Therapie,
spätestens jedoch in der Anfangsphase festgelegt sein. Als
Wegweiser zum aktuellen Hauptkonflikt können dienen (10, 13, 25,
26):
- die symptomauslösende Konfliktsituation
(Versuchungs-/Versagungssituation);
- das pathogene soziale Feld, das die auslösende Situation
konstelliert, begünstigt oder verstärkt (zum Beispiel
in Partnerschaft, Familie, Beruf und anderem);
- das aktuelle Beziehungsgeschehen Patient-Therapeut.
Je besser sich eine spezifische und aktuelle
symptomauslösende Situation herausarbeiten läßt, desto
günstiger sind die Therapievoraussetzungen auch hinsichtlich der
thematischen Zielbegrenzung. Bei Patienten, bei denen es
schwerfällt, klare, aus der individuellen Biografie ableitbare
Auslöser in der aktuellen Lebenssituation zu erkennen, sind eher
längerfristige Therapieverläufe zu erwarten. Hier muß am
ehesten der Umweg über die sich seitens des Patienten
konstellierende Beziehungsgestaltung in der Therapie genommen
werden, um den zentralen Beziehungskonflikt des Patienten in
seinen aktuellen sozialen Auswirkungen festzumachen.
Das in diesen Therapieformen erforderliche aktive Vorgehen
wird unterstützt durch eine realitätsnahe Gestaltung des
"Settings". Die Behandlung findet ohne vorherige
Verabredungen oder Instruktionen (zum Beispiel hinsichtlich der
Beibringung von Träumen, der Bearbeitung des Traummaterials) im
Gegenübersitzen statt. Dies fördert eine eher aufbauende,
partnerschaftliche Ebene in der Kommunikation und begrenzt zu
starke regressive Tendenzen. Es gibt dem (zumeist tief
mißtrauischen) Patienten Gelegenheit, den Therapeuten "im
Auge" zu behalten und sich von dessen Reaktionen zu
überzeugen. Dadurch werden stärkere paranoide Einstellungen
begrenzt. Die Realitätsprüfung des Patienten wird durch die
Zentrierung auf das aktuelle Wahrnehmen, Erleben und Handeln
gefördert.
Es ist sicher eine der größten Schwierigkeiten in diesen
Therapien, trotz eher niedrigfrequenter Termingestaltung das
aktuelle Übertragungsgeschehen richtig zu erfassen und dosierend
zu beeinflussen. Das regressions- und übertragungsbegrenzende
Vorgehen in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie
beinhaltet (1, 10, 25, 28, 31, 37):
- Reduzierung der Anzahl der wöchentlichen
Behandlungsstunden,
- behandlungsfreie Intervalle,
- aktive und frühe Interpretation von Widerstand und
Übertragung,
- Minimierung von Übertragungsdeutungen und
- Fokussierung auf die sekundären (tertiären) Folgen der
Neurose.
Es ist dabei im Auge zu behalten, daß das
Übertragungsgeschehen genügend Tiefgang behält, um einen
befriedigenden Therapieausgang zu gewährleisten und die Mündung
der Therapie in einen oberflächlichen Ersatzbefriedigungskontakt
zu vermeiden.
Die eingesetzten therapeutischen Interventionen (10)
unterscheiden sich nicht qualitativ, sondern quantitativ von den
in anderen psychoanalytischen Behandlungsverfahren eingesetzten
Interventionen. Beziehungsgestaltende Handlungen, wie zum
Beispiel das Angebot einer zusätzlichen Stunde, der Abbruch oder
die Verkürzung einer Behandlungsstunde, stehen ebenso wie
klimabestimmende Interventionen in Form von Trost, Anerkennung,
Skepsis oder Mißbilligung stärker im Vordergrund als in einer
Standardbehandlung. Interventionen pädagogischen Charakters, wie
Informationen und Belehrungen, Ratschläge, Aufforderungen oder
Verbote, sind in solchen Therapien selten zu vermeiden. Weiterhin
sind themenbestimmende Fragen und Kommentare von großer
Bedeutung für die Behandlung. Der Rückgriff auf frühere
Interpretationen, Themen und Probleme wird um so notwendiger, je
niederfrequenter die Therapie gehalten wird (10, 28, 37, 38).
Resümee
Gute Therapieeffekte konnten in Studien, die
forschungsmethodischen Mindestanforderungen genügen, ausgewiesen
werden (8, 31, 42). Zudem haben sich diese Therapieverfahren
nunmehr über Jahrzehnte unter naturalistischen Bedingungen
bewährt, was nicht gering zu schätzen ist, wie unter anderem
die Ergebnisse der "Consumer-Reports-Study" belegen
(27, 36). Der Nachweis von Wirkungen in der Routine der
Alltagspraxis ("effectiveness") hat noch einmal einen
anderen Stellenwert als der Wirkungsnachweis in experimentell
angelegten Designs ("efficacy").
Allerdings ist die Psychotherapieforschung aufgrund der
enormen methodischen Schwierigkeiten in diesem hochkomplexen
Gegenstandsbereich bisher nicht in der Lage, über allgemeine,
für die verschiedensten Psychotherapieverfahren gültige
Therapieeffekte hinaus die jeweils spezifischen Wirkfaktoren
dieser (wie anderer) Therapietechniken zu belegen. Hier besteht
erheblicher Forschungsbedarf (7, 27, 42).
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1998; 95: A-1909-1912
[Heft 31-32]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das
Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser
und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de)
erhältlich ist.
Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Klaus Lieberz
Psychosomatische Klinik am
Zentralinstitut für
Seelische Gesundheit Mannheim
Postfach 12 21 20
68072 Mannheim
Abdruck auf dieser Webseite mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
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